In dreißig Jahren: Eine Zukunftsvision

Wie sieht das Leben in unserer Stadt künftig aus?

Ein Gedanken-Experiment von Sebastian Ley

Neuss am Rhein

Ich stehe am Münster, die Sonne scheint und ich beschließe, einen Spaziergang zum Rhein zu machen. Ich gehe los, wandere über den Freithof und den Markt, auf dem wie seit über 50 Jahren bei diesem Wetter die Cafés aus allen Nähten platzen und wandere über den Wendersplatz weiter hin zur Straße, die an Schützenfest zur Rollmopsallee wird. Es ist verrückt, wenn ich mich daran zurückerinnere, wie vor 30 Jahren an der ehemaligen Batteriestraße der motorisierte Individualverkehr tobte. Heute bleibe ich auf der damaligen Kreuzung stehen, blicke zurück, hoch zum Rat- haus und freue mich über das geschäftige Fußgängertreiben. Über mir bewegen sich kleine autonome Ein- bis Mehrpersonen-Drohnen.

Beitragsbild: Drohnenbild: chesky - adobestock.com

Ich gehe über den Wendersplatz und am Globe vorbei, entschließe mich, durch den Bürgerpark an der Rennbahn zu spazieren – toll, dass die grüne Lunge bis heute er- halten blieb – und bin dann schon fast im Gewerbegebiet rund um das Möbeldruck- haus, das sich aus dem Möbel-Verkaufsgeschäft entwickelt hat. Vom Globe bis hier- hin zieht sich ein spannendes Kultur- und Gewerbegebiet, das neue Hanseviertel, in dem sich Pop-up-Stores, hippe Restaurants und sogar eine kleine Altbrauerei etabliert haben.

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Mir geht nun langsam die Puste aus, ich tippe auf meine Armbanduhr und steige eine knappe Minute später in die bestellte Ein-Mann-Drohne. Fünf Minuten später lässt mich das Fluggefährt auf den Rhein- wiesen wieder aussteigen.

Schützenfest 2050

Am Rheinufer setze ich mich auf einen großen Stein und muss plötzlich an das kommende Schützenfest denken. Lange dauert es nicht mehr, dann fangen schon die Ehrenabende an.

Unser fünfzigjähriges Zug-Jubiläum dauert nicht mehr lange. Und meine Tochter feiert bald ihr zehnjähriges – das war damals echt ein Novum, dass Frauen als Truppe mitgehen. Irgendwie eine gute Entscheidung, dass sie keine Uniformen tragen, sondern sich für Trachtenröcke und -kleider entschieden haben. Vor zehn Jahren musste ein Frauentrupp mitmarschieren, sonst hätte das Finanzamt die Gemeinnützigkeit endgültig, nach jahrelangem Rechtsstreit, aberkannt.

Heute ist es fast normal, dass es in jedem Corps einige Frauentrupps gibt. Nur auf den Vogel zu schießen hat sich noch kein Nüsser Rösken getraut. Ob ich es dieses Jahr versuchen werde? Mal sehen – dann müsste ich allerdings nächstes Jahr mit der Bürgermeisterin die Parade abnehmen, statt mit meinen Jungs an der Theke zu stehen. Vielleicht lasse ich es lieber sein.

Verkehr

Ich schaue auf die Uhr, mir fällt ein, dass ich noch zum Kaffee in der Innenstadt verabredet bin. Ich bestelle mir eine Drohne zurück, die mich wenige Sekunden später einsteigen lässt.

Immer wieder freue ich mich darüber, wie die Rheinbahn es zusammen mit dem Land und den Kommunen in der Region geschafft hat, hier tolle Verkehrslösungen zu finden. Klar, der technologische Durchbruch von autonom agierenden Minifahr- und Flugobjekten schrie einfach danach. Aber dass die Verkehrsgesellschaften ein- fach auf ihre Pfründe verzichteten und die öffentliche Verwaltung eine Vergabe hinbekam, die kleine und große Flugtaxi-Unternehmen gleichermaßen profitieren lässt, ist toll.

Es hilft natürlich, dass die Neusser immer mobiler werden, immer mehr unterwegs – das sorgt für eine große Nachfrage.

Zurück in die City

Jetzt geht es wieder zurück in die City. Ich sehe von oben die Kultur- und Ge- werbetreibenden rund um das Globe, an denen ich eben vorbeigegangen bin. „Foodtruck“-Drohnen, fliegende Puppentheater, ein fester Shop für Skate-Bedarf, in dem die Skater der großen Anlage im Rennbahnpark einkaufen – es ist ein bisschen wie auf einem Jahrmarkt. Heute findet keine Veranstaltung im Globe statt, ich freue mich allerdings schon auf nächste Woche – ich habe Konzertkarten. Eigentlich ist das Globe ja das ganze Jahr ausgebucht.

Beitragsbild: Drohnenbild: chesky - adobestock.com

Auf dem Markt trinke ich einen Kaffee, dann gehe ich auf den Hauptstraßenzug, wo die Händler und Cafés auch überall Tische und Stühle aufgestellt haben. Ich weiß, dass es kaum mehr Lieferverkehr gibt. Die Shops sind seit Jahrzehnten lediglich Probier- und Showrooms – bestellen kann man direkt im Laden, und wenn man zuhause ankommt, ist die Ware schon da. Und die Straßenbahn gibt es nicht mehr. Der öffentliche Nahverkehr läuft über die individuellen Lufttaxen. Im größten Haus – einem ehemaligen Warenhaus – in der Innenstadt beobachte ich Eltern und Kinder, wie sie auf dem riesigen Indoor-Spielplatz toben. Naja, was heißt Indoor – die große Rutsche aus dem zweiten Stock führt auch nach draußen und endet dann wieder drinnen. Eine super Familienattraktion. Ich kann mir gut vorstellen, wie toll das für Eltern ist, wenn die Kinder auch Spaß beim Shopping haben. Früher gab es das nicht. Und was ein echter Vorteil ist: Die Dauerverfügbarkeit der Drohnen haben Hanseviertel und City zusammenwachsen lassen – so gibt es keine räumliche Konkurrenz, die Vielfalt belebt das Geschäft.

Bildung und Lehre

Ein Glück, dass die Politik Mitte der Zwanziger erkannt hat, dass Talente und Köpfe der Rohstoff der Zukunft sind. In den 90ern und 2000ern war dieser Spruch eher eine Plattitüde, dauernd gab es seltsame Schulreformen, die wenige Jahre später wieder zurückgedreht wurden – und das Entscheidende wurde vernachlässigt: Man braucht einfach genug Lehrer und ein durchlässiges und flexibles Schulsystem. Moderne Methoden und Geräte, über die die Lehrinhalte transportiert werden, bringen dann das I-Tüpfelchen für die I-Dötzchen.

Ob es das alles in dreißig Jahren geben wird? Ganz ehrlich: Vielleicht gibt es noch viel mehr und Ungeahntes. Die gesellschaftliche und technische Entwicklung ist rasant! Und wer das ein oder andere für unrealistisch oder undenkbar hält – auch das ist in Ordnung. Es ist doch nur ein Gedankenexperiment.

Beitragsbild: Drohnenbild: chesky - adobestock.com

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