Dem Fachkräftemangel begegnen
Deutschland leidet unter einem Fachkräftemangel. In rund 400 Berufen fehlt einer Studie der Bertelsmann Stiftung zu Folge qualifiziertes Personal. Ein Zustand, der sich verschärft und die Wirtschaft zunehmend belastet.
Der jetzt veröffentlichte Fachkräftereport 2019 der IHK NRW bringt es auf den Punkt: Das mit Abstand größte Geschäftsrisiko für die NRW-Wirtschaft ist der wachsende Fachkräftemangel. Unter dem Motto „Wissen.Weiter.Bildung“ luden die Industrie- und Handelskammern in Nordrhein-Westfalen zum landesweiten Bildungskongress. Gesucht wurde nach einer Antwort auf die Frage, wie insbesondere jungen Schulabgängern mit Hochschulreife die Chancen der beruflichen Bildung nahegebracht werden können und wie auch Erwachsenen ohne Berufsabschluss noch der Weg zu einer beruflichen Qualifikation geebnet werden kann. Jetzt soll ein Maßnahmenpaket geschnürt werden, das das Problem zeitgleich an verschiedenen Stellen angeht.
Auch die Mitgliedsunternehmen der IHK Mittlerer Niederrhein, zu der der Rhein-Kreis Neuss, der Kreis Viersen und die Städte Krefeld und Mönchengladbach gehören, spüren den Fachkräftemangel massiv. Seit Jahren nimmt er kontinuierlich zu, und der Trend hält an. Für die Region prognostiziert die Kammer einen relativen Fachkräfte-Engpass von über 15 Prozent im Jahr 2030. Derzeit liegt die Quote bei 6,8 Prozent.
Wie kann man nun diesem Trend begegnen? Ansprechpartner für Unternehmen im Rhein-Kreis Neuss sind die IHK Mittlerer Niederrhein und die Agentur für Arbeit, die einen Kooperationsvertrag geschlossen haben. Vor allem kleine und mittlere Unternehmen profitieren von einem individuellen Beratungsservice. Er zeigt Wege auf, wie Personal erfolgreich rekrutiert und qualifiziert werden kann.
Maren-Corinna Nasemann, Fachkräfteberaterin der IHK, betreut Unternehmen beim Thema Personalmanagement, Schwerpunkt Fachkräftesicherung. „Auf der Basis einer fundierten Ist-Analyse der Personalsituation können wir den Unternehmen individuelle Handlungsempfehlungen für die nachhaltige Fachkräftesicherung an die Hand geben. Damit unterstützen wir sie unter anderem bei der strategischen Personalplanung. Die Umsetzung liegt dann in der Verantwortung der Unternehmen.“
Viele Unternehmer nutzen bei der Rekrutierung nicht die volle Bandbreite der Möglichkeiten aus. Maren-Corinna Nasemann: „Es gibt zahlreiche Plattformen, auf denen man mit den unterschiedlichen Zielgruppen in Kontakt treten kann. Auszubildende werden über die IHK-Lehrstellenbörse angesprochen oder über Azubiyo, eine Stellenbörse für Jugendliche auf der Suche nach einem Ausbildungsplatz oder einem Dualen Studienplatz. Auf Facebook erreicht man eher die Eltern, die aber immer noch zu den wichtigsten Beratern bei der Berufswahl gehören. Ein wichtiger Rekrutierungskanal ist die eigene Homepage, gerade darüber finden Unternehmen Auszubildende und Mitarbeiter.“
Mit dem Projekt Schulkontaktmanagement bewirkt die IHK die systematische und nachhaltige Zusammenführung von Schulen und Unternehmen. Zur Zielgruppe gehören Schüler ab der Jahrgangsstufe 9 und Unternehmen, die Interesse an einer engen Zusammenarbeit haben. „Wie diese Kooperationen gelebt werden, ist ganz unterschiedlich“, erklärt Maren-Corinna Nasemann. „Einige Unternehmen bieten Praktikumsplätze für Schüler oder auch die Leitung einer AG durch einen Mitarbeiter an, oder sie öffnen ihr Unternehmen für einen Tag und ermöglichen den Schülern einen Einblick in die Arbeitswelt. Hier werden Auszubildende zu Werbebotschaftern für ihre eigene Ausbildung. Ein Gewinn an Authentizität für die Schüler.“
Fachkräfteengpässe finden sich auf allen Qualifikationsniveaus. „Besonders ausgeprägt ist der Mangel in sogenannten männertypischen Berufen, den MINT-Berufen und im Handwerk,“ erklärt Dr. Lydia Malin vom Kompetenzzentrum Fachkräftesicherung (KOFA). „Gleichzeitig sehen wir das aber auch bei frauentypischen Berufen in der Alten- und Krankenpflege und in der öffentlichen Verwaltung. Die Gründe dafür: ein Attraktivitätsdefizit beim anderen Geschlecht. Das heißt, auf frauentypische Berufe bewerben sich nur wenige Männer und umgekehrt. Damit wird ein Teil des gesamten Fachkräftepotenzials nicht optimal erreicht.“
Digitalisierung und Strukturwandel betreffen sowohl Arbeitnehmer als auch Arbeitgeber, die auf qualifizierte und gut ausgebildete Mitarbeiter angewiesen sind. Das seit Anfang des Jahres geltende Qualifizierungschancengesetz ermöglicht beiden Seiten, sich besser für die Veränderungen des Arbeitsmarktes zu rüsten. Arbeitnehmer erhalten nun erweiterte Möglichkeiten, im Job an einer geförderten Weiterbildung oder Umschulung teilzunehmen. Gleichzeitig werden Unternehmen durch finanzielle Hilfen darin bestärkt, nachhaltig in ihre Mitarbeiter zu investieren und damit deren Kompetenzen gezielt zu fördern.
Um als Arbeitgeber besser wahrgenommen zu werden, ist Employer Branding, die Bildung einer Arbeitgebermarke, eine wichtige Voraussetzung. Sie dient dazu, sich von Wettbewerbern auf dem Arbeitsmarkt positiv abzuheben und sich gegenüber Mitarbeitern und potenziellen Bewerbern als attraktiver Arbeitgeber zu positionieren. Dabei werden die individuellen Besonderheiten des Unternehmens aus den Blickwinkeln von Führungskräften, Mitarbeitern und Bewerbern sowie die Unternehmenskultur herausgestellt.
Einen vielversprechenden Ansatz verfolgt die IHK mit der Unterstützung von Kooperationen zwischen Unternehmen und Sportvereinen. Dimitri van der Wal, der das Projekt „Wirtschaft.Sport.Ausbildung“ für die IHK Ausbildungs-GmbH betreut, sieht Sportvereine als eine gute Plattform für Unternehmen, um Jugendliche auf sich aufmerksam zu machen. „Sportvereine und Unternehmen in der Region sind oftmals sehr eng vernetzt, häufig durch Sponsoring. Jetzt gilt es, diese Kontakte weiter auszubauen und für beide Seiten gewinnbringend zu gestalten. Vielleicht gibt es auch einen Mitarbeiter, der sich bereits für einen Verein engagiert“, sagt van der Wal. „Wer das authentisch und mit Herzblut tut, wird von den jungen Menschen auch positiv wahrgenommen.“
Auch Barbara Albrecht-Müller, Unternehmerin und 2. Vorsitzende des Sportbund Rhein-Kreis Neuss, sieht die Win-win-Situation für die Beteiligten: „Die Unternehmen können Nachwuchs rekrutieren, Vereine können Sponsoren finden, und Jugendliche können so an Ausbildungsplätze kommen“, so Barbara Albrecht-Müller im Gespräch mit der IHK.
Die IHK berät Unternehmen bei der Suche nach geeigneten Sportvereinen und begleitet beide Partner auf dem Weg zu einer gelungenen Kooperation. Die findet man zum Beispiel beim TSV Meerbusch, der mit Unternehmen unterschiedlicher Branchen Kontakte pflegt. Einige Mitglieder sind bereits als Auszubildende vermittelt worden.
Dimitri van der Wal sieht für die beteiligten Vereine einen erheblichen Vorteil darin, dass ihnen Mitglieder erhalten bleiben. „Gerade im Alter zwischen 15 und 18 verlieren Vereine einen Teil der Jugendlichen, weil diese für die Berufsausbildung den Wohnort wechseln müssen. Ein regionales Netzwerk, wie das, was wir mit unserem Projekt aufbauen, kann dafür sorgen, dass die Jugendlichen im Verein bleiben.“
Ein weiteres Projekt im Bereich „Ausbildung“ ist Kompass D. Hier haben Neusser Unternehmen in Zusammenarbeit mit der Stadt Neuss und dem Rhein-Kreis Neuss bereits erfolgreich die Integration junger Migranten gefördert. Seit einigen Monaten geht Kompass D neue Wege: Nun als Initiative des Rhein-Kreises Neuss in Kooperation mit der Stadt Neuss und Neusser Unternehmen wendet sich Kompass D an junge Menschen ohne Schulabschluss. Mit gezielten Fördermaßnahmen erhalten 15- bis 25-Jährige die Möglichkeit, die Voraussetzungen für den Beginn einer Ausbildung zu erfüllen. Dazu kann neben dem Training allgemeiner gesellschaftlicher Fähigkeiten auch die Förderung von Sprachkompetenzen gehören. Der Besuch von Unternehmen vor Ort vermittelt den Teilnehmern ein konkretes Bild von Arbeit und Ausbildung. Oft kommen aber auch Unternehmen und Verbände in die VHS Neuss und die Unterrichtsräume vor Ort, um ihre Arbeit und die Ausbildungsmöglichkeiten im Betrieb vorzustellen.
Ziel von Kompass D ist es, jungen Neussern den Weg zu einer Berufsausbildung zu
ebnen und ihnen damit die Chance zu geben, am Erwerbsleben teilzunehmen und ihren eigenen Unterhalt zu verdienen.
Die Wirtschaft im Rhein-Kreis Neuss, die einen zunehmenden Fachkräftemangel zu realisieren hat, kann von solchen Projekt nur profitieren.
Bild:
- Collage mit verschiedenen Berufen – Arbeiter im Handel,Industrie: ©industrieblick - stock.adobe.com
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