„Ich stehe hier, weil ich gut bin“

– Ein Porträt der Herzchirurgin Dr. Dilek Gürsoy aus Neuss

Von Iris Wilcke

Dilek Gürsoy hat beruflich viel erreicht – dabei ist die Medizinerin gerade einmal 46 Jahre alt: Als erste Frau in Europa implantierte sie 2012 erfolgreich das erste komplette Kunstherz, 2019 erhielt sie den „Medical Woman ofthe Year“ Award, 2020 erschien ihr erstes Buch. Sie traf die damalige Bundeskanzlerin Angela Merkel persönlich und bekam ein Angebot vom türkischen Staatspräsidenten, dort eine Klinik zu eröffnen.

Über ihren Werdegang und ihre Visionen, ihre Motivation und ihre Erfolge und darüber, was es bedeutet, ein Herz in den Händen zu halten, sprach sie mit unserer Autorin.Wenn sich Dilek Gürsoy etwas vornimmt, zieht sie es durch: Schon als junges Mädchen wusste sie, dass sie Ärztin werden wollte. Und das nicht, anders als viele Menschen vermuten, ausgelöst durch den frühen Herztod ihres Vaters Ihsan Ali – da war Dilek gerade zehn Jahre alt – , sondern weil es Mediziner waren, die ihrer Mutter Zeynep, als sie nach dem Tod ihres vierjährigen Sohnes unter Depression litt, haben immer gut helfen können. „Ich mochte Krankenhäuser, Praxen und die Menschen, die dort arbeiteten“, erinnert sie sich an ihre Kindheit.

„Ich stehe hier, weil ich gut bin“ heißt das Buch, dass die Fachärztin für Herzchirurgie gemeinsam mit der Politologin und Journalistin Doreen Brumme 2020 herausbrachte. Das Selbstbewusstsein des Titels klingt auch durch, wenn man mit der weltbekannten Medizinerin redet – und dennoch: Aus ihren Worten spricht auch viel Dankbarkeit, vor allem für das Wirken ihrer Mutter in ihrem Leben, und große Demut, dass sie ausgerechnet in diesem Handwerk so gut ist, wie sie eben ist – denn oft genug geht es dabei um Leben und Tod. Dass sie sich
in einer von Männern dominierten Disziplin so herausragend hat qualifizieren können, liegt auch am Neusser Ehepaar Bisping: „Meine Mutter war, seit sie 1971 aus der Türkei nach Neuss kam, berufstätig. Zunächst waren mein Bruder Fikri und ich währenddessen bei Verwandten oder Freunden untergebracht, doch dann brachte sie uns in den Kindergarten des Ehepaar Bisping“, erinnert sie sich heute. Die Beiden waren es dann auch, die sich dafür einsetzten, dass sie das Theodor-Schwann-Gymnasium besuchen konnte, obwohl sie von der Grundschule keine entsprechende Empfehlung erhalten hatte, und ebnete damit den Weg für ihre straffe Karriere. Nach dem Abitur am Quirinus-Gymnasium absolvierte sie das Studium der Humanmedizin an der Heinrich-Heine-Universität und ging als erste berufliche Station ins Herz- und Diabeteszentrum NRW nach Bad Oeynhausen, wo sie unter Professor Reiner Körfer, einer weltbekannten Koryphäe auf dem Gebiet der Herzchirurgie, das Handwerk lernte. Das Kunstherz sei von jeher ihr Lieblingsthema gewesen und so implantierte sie 2012 als erste Frau in Europa einem Patienten ein komplettes Kunstherz und gilt spätestens seitdem als Expertin auf dem Gebiet der mechanischen Kreislaufunterstützungssysteme. Es folgten verschiedene Arbeitsorte, an denen sie als Assistenz-, Fach- und später Oberärztin tätig war. Heute ist die Neusserin Chefärztin in der Clinic Bel Etage in Düsseldorf und führt ihre eigene Privatpraxis für Herzchirurgie in Mönchengladbach, denn „ich hatte Anfragen aus aller Welt und die Leute haben sogar an meiner Haustüre geklingelt.“ Nun steht sie im Zentrum von Mönchengladbach mit ihrer jahrzehntelangen Erfahrung und Expertise Patienten zur Seite, die sich eine Zweitmeinung einholen wollen, unter ungeklärten Beschwerden leiden oder sich mit ihrer Therapie unsicher sind. Doch damit nicht genug: „Ich habe die Vision einer eigenen Klinik, in der ich auch operieren kann“, verrät Dilek Gürsoy ihren großen Traum. Die passenden Räumlichkeiten sind gefunden, nun ist sie in Gesprächen mit möglichen Investoren, Banken und, da die operative Tätigkeit eine anästhesiologische Abteilung sowie eine intensivmedizinische Betreuung erfordert, auch mit Kollegen.

Die „Schönheit des Handwerks“ erfüllt sie von jeher mit großer Demut: „Wenn ich ein Herz in den Händen halten und mir bewusst mache, dass es nun an mir ist, dem Menschen auf dem OP-Tisch das Leben zu retten, werde ich ganz ruhig und arbeite konzentriert, zielgerichtet und präzise weiter.“ Und auch wenn sie den Kontakt zu den Patienten liebt, von der Forschung ist sie nicht weggekommen: Seit Jahren unterstützt sie internationale Unternehmen in der Entwicklung neuer Technologien für Kunstherzen ohne externe Kabel oder Antriebssysteme und operiert in deren Laboren. „In der Szene bin ich gut bekannt und werde mit meiner Expertise gerne ‚gebucht‘“, sagt sie nicht ohne Stolz, denn „als Tochter von Gastarbeitern war ich die Erste in unserer Familie, die Abitur machte.“ Ihre Wurzeln haben in ihrer beruflichen Laufbahn selten eine Rolle gespielt, auch wenn „Alltagsrassismus nie aufhört.“ Jedoch ist ihr im Klinikalltag oft Neid und Missgunst vor allem von Männern entgegengeschlagen, wenn diese merkten, dass sie hochspezialisiert ist in ihrem Fach. „Jede starke Frau ist ein Problem“, bringt sie es auf den Punkt und plädiert für eine wertschätzende, ehrliche Kommunikation auf Augenhöhe. Als großes Vorbild bezeichnet sie ihre Mutter – ein „Neusser Urgestein“, wie Dilek zwinkernd sagt, und ebenfalls eine starke Frau: „Nach dem Tod meines Vaters hat sie sich alleine um meine Geschwister und mich gekümmert und immer gut für uns gesorgt. Noch heute gilt ihr mein erster Anruf, wenn es etwas Freudiges zu berichten gibt.“

Sie ist hochspezialisiert, bestens vernetzt, medial in Print, Online, TV oder Podcasts sehr präsent und war wegen ihres weltweiten und unermüdlichen Einsatzes für die Kunstherzforschung unter dem Titel „Die Herzdame“ auf dem Cover der Zeitschrift „Forbes“. Doch neben allem beruflichen Erfolg, ihrer herausragenden und einzigartigen Leistungen und Visionen ist sie doch vor allem immer eins geblieben: Menschlich! Eben einfach Dilek Gürsoy aus Neuss.

Zur Person:

Dilek Gürsoy wurde 1976 als Tochter türkischer Gastarbeiter in Neuss geboren.

Sie besuchte die Martin-Luther-Grundschule und das Theodor-Schwan-Gymnasium und machte ihr Abitur am Quirinus. Ihr Medizinstudium absolvierte sie an der Heinrich-Heine-Universität in Düsseldorf. Noch heute lebt sie in der NeusserInnenstadt.

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  • image1_Bildnachweis_Simon Erath: Simon Erath