Die roten Hosen

Die roten Hosen sind ein Markenzeichen der Räuber. „Wir testen auch mal“, lachen die Räuber. Schrader und Sven weichen heute vom knalligen Rot der anderen ab. Während Schrader eine besondere Jeans in dunklerem, fast purpurfarbenem Rot erstanden hat, hat Sven seine Hose einfach selbst lackiert. „Wir wollen das Gesetz biegen, nicht brechen“, heißt es mit Augenzwinkern. Schrader jedenfalls ist schon nach dem ersten Auftritt mit der Hosen-Premiere zufrieden. „Die Hose hätte ich jetzt schon dreimal verkaufen können“, berichtet er von der Reaktion der Fans.

Der Tourbus von innen

Direkt zu Beginn werden fachliche Details besprochen – hat die neue Choreographie funktioniert und ähnliches. Jeder Auftritt wird kurz nachbesprochen. Was kann man anders machen, verbessern? Wie oft wird ein Refrain gespielt? Die meiste Zeit sprechen die Räuber allerdings über Gott und die Welt: Der traurige Stand des Effzehs in der Fußballbundesliga ist genauso Thema wie die Familie, Urlaubsplanungen und natürlich die nächsten Auftritte. Man fühlt sich manchmal wie in einem kleinen Großraumbüro, in dem neben der Arbeit auch die ein oder andere spöttische oder anzügliche Bemerkung nicht fehlen darf. Gleichzeitig saust die nächtliche Straße an einem vorüber.

Immer wieder halten die Jungs auch ein Nickerchen. Gerade heute, erklärt mir Wolli, wo die Fahrten etwas länger sind, lohnt sich das. In der heißen Zeit, kurz vor Karneval, sind die Fahrten kürzer. Dann ist Powernapping angesagt und umso wichtiger. Wobei, so erklärt mir Wolli, auch die Tage mit acht, neun und zehn Auftritten etwas für sich haben: „Dann fährst du nicht so runter zwischendrin, dann bleibt man auf Spannung.“ Versorgt wird die Band übrigens immer zwischendurch. Die Ehefrauen bringen eine Pizza vorbei, es gibt Schnitzelbrötchen und Brezeln bei den Veranstaltungen – und Wolli hat selbstgemachte Plätzchen mitgebracht. Vor den Auftritten gibt’s auch mal ein Weinchen oder Kölsch und viel Wasser – viel Alkohol ist nicht drin. Das Musikerleben ist am Ende eben ein Beruf. 

Die Karnevalsmusik

Ganz klar – ohne die Klassiker geht es nicht. „Wenn et Trömmelche jeiht“ ist immerhin von jeckes.net (Express) zum größten Karnevals-Hit aller Zeiten gewählt worden. Eine große Ehre für die Räuber. 

Die Räuber sehen sich allerdings nicht auf den Karneval beschränkt, erklärt Wolli. Klar, hier sind die Wurzeln und die großen Hallen. „Wir wollen das etwas rockige und das traditionelle beides. Das muss zusammengehen.“ Mit dem Grevenbroicher Sven West zeigt sich das an diesem Abend sehr deutlich. „Kumm loss jonn“ ist voller Energie, ein Hit, der zum Mitrocken auffordert. Gespielt wird aber auch „Dat es Heimat“ – und der von der Münchner Freiheit gecoverte Song „Ohne Dich (schlof ich hück Naach nit en)“. Das war übrigens eine Idee von Sven. „Danke an die Jungs von der Münchner Freiheit, dass wir den Song op Kölsch übersetzen durften“, rufen die Räuber, als wir darüber sprechen. 

Songs werden bei den Räubern von allen geschrieben. „So schafft die Band ihr eigenes Gesicht. Jeder kann so seine Facetten zeigen, das ist das Tolle.“ Dabei werden die Songs und der Karneval immer energetischer. Es ist mehr Party, mehr Happening und Feiern. „Als erstes haben die Bläck Föös das aufgebrochen“, blickt Schrader zurück. Dann kam Brings mit Kölschrock: „Die haben erst die Schneise aufgemacht für Bands wie Cat Ballou und Kasalla.“ Der gelernte Industriekaufmann Schrader betont den Wirtschaftsfaktor Karneval für Köln. „Es ist ein echtes Glück für Kölle“, sagt Wolli. Und eins ist allen wichtig: Konkurrenz mit den anderen Bands gibt es nicht – „jeder gönnt sich die Butter auf dem Brot“.

Die Räuber

Es sind fünf Originale, das merkt man im Gespräch. Kurt, Gründungsmitglied und Chef der Band mit der Verantwortung für die rechtzeitige Ankunft, treibt in kritischen Momenten immer wieder an und kennt natürlich die alten Geschichten. 

Sven, der neue Frontmann, hat sich schon voll integriert. Der Grevenbroicher lebt für die Bühne, er gibt Vollgas von der ersten bis zur letzten Sekunde und nimmt das Publikum mit. Sven brachte auch etwas ganz Neues in die Band: das Stage Diving, das ich mangels Gelegenheiten heute leider nicht miterlebe. 

Schrader ist neben Sven auf der Bühne sehr präsent. Er redet, witzelt, schwärmt über das Rheinland, das weit über Köln hinaus geht – Neuss sowieso, er zieht es auch bis ins Bergische, in die Eifel, nach Luxemburg und der niederländischen Stadt Sittard, wo die Räuber auch vor vollen Hallen spielen. Seine Karriere startete er schon in der Schulzeit – und nachdem seine Eltern ihn zur Kaufmannsausbildung „genötigt“ hatten, ging es los. „Als Musiker ist man ja selbstständig, da hilft das Wirtschaftswissen sehr.“ Er spielte unter anderem bei Purple Schulz und war mit Guildo Horn beim Grand Prix. Er konnte schon auf eine tolle Karriere zurückblicken, als er vor fünf Jahren zu den Räuber stieß. Übrigens: Er berichtet begeistert von Auftritten in der Neusser Rockkneipe „Oki Dokie“, die fester Bestandteil der Go Musik Tour von Martin Engelien ist.

Geppie, primär am Bass und auch an der Gitarre stark, ist im Tourbus zurückhaltend. Der ein oder andere Spruch op Kölsch gehört dazu. Und auf der Bühne dreht er gemeinsam mit Sven und Schrader auf.

Wolli stieß vor zwanzig Jahren als vierter Mann zur Ursprungsformation dazu. Musik begleitete auch ihn schon sein ganzes Leben, auch wenn er vor den Räubern beruflich etwas anderes gemacht hat. Im Tourbus erklärt er mir, wie er ein transportables Schlagzeug gebaut hat, das trotzdem guten Sound bringt. „Da war ich einer der ersten“, sagt er nicht ohne Stolz. 

Für alle Räuber gilt (und das bestätigt mir jeder der Jungs): „Nach der Session bist du alle. Du gehst in die Vollen, es ist eine verdammt intensive Zeit. Aber danach muss jeder seinen Akku aufladen.“ Das glaube ich sofort – und auch, dass man während der Session nicht krank wird. Die fünf sind einfach mit Vollblut dabei.

Neuss und der Rhein-Kreis

Für Schrader gehört im Rheinland ohnehin alles zusammen. Und Neuss? „Da kenne ich zwei Locations: das Crowne Plaza und das Haus mit dem Marmor“, sagt er und meint das Zeughaus, die gute Stube der Stadt.

Auf meine Frage hin wird es dann klar: Natürlich haben die Räuber Neusser Wurzeln. „Der Karl-Heinz kommt doch aus Neuss und ist da auch beim Schützenfest aktiv“, sagt Wolli. „Und ich wohne nur zwei Kilometer vom Charly weg“, sagt Sven, der als Grevenbroicher die Rhein-Kreis-Neuss-Tradition weiterführt. Captain Kurt erzählt mir dann vom ersten Räuberabend auf dem Neusser Münsterplatz. „Das war vor 27 Jahren. Es hat geregnet und sah gar nicht gut aus.“ Karl-Heinz Brand sei damals erstmal aus Frust an die Theke gegangen – als sich dann der Platz trotz des schlechten Wetters füllte, wurde es ein toller Erfolg.

Und was ist mit dem Trömmelche? Das klingt doch nach Schützenfest? Als ich danach frage, lachen erst einmal alle. Ja, das sei doch ein guter Zufall, heißt es zuerst, bis Captain Kurt die wahre Geschichte auspackt: Karl-Heinz Brandt sei im Schützenzelt auf der Toilette gewesen. Als dann ein Tambourcorps vorbeimarschierte, da sei ihm die Idee mit dem Trömmelche gekommen. Klar, es ist ein echter Karnevalssong, der sogar beim Effzeh zum Torjubel gespielt wird. Aber trotzdem: Es steckt eben ein bisschen Schützenfest, ein bisschen Neuss drin.

Die Roadies

Die Technik ist zentraler Bestandteil des Räuberteams. Deshalb fahre ich von Eitorf bis Brühl bei den Roadies mit, die von einer Kölner Veranstaltungstechnik-Firma kommen und seit einem Jahrzehnt mit den Räubern zusammenarbeiten. Hier ist die Stimmung auch richtig gut. Gewitzelt wird die ganze Fahrt lang, bis kurz vor der Location: Dann wird umgeschwenkt und es wird professionell. Die Räubermaschinerie läuft wie geschmiert. Jeder Auftritt ist etwas Neues. „Klar, man kennt viele Locations inzwischen. Trotzdem ist immer etwas anders und man muss sich neu drauf einstellen.“ Was die Roadies gar nicht mögen: Sessionspräsidenten, die die Räuber schon ankündigen, wenn gerade erst der Aufbau begonnen hat. „Dann wird es stressig.“ 

Das Winterbrauchtum fordert die Veranstaltungstechnik besonders. „Das muss ja auch bei Schnee und Nieselregen funktionieren. Ganz hart wird es, wenn man von Minustemperaturen draußen mit der Technik und den Instrumenten ins dreißig Grad warme Zelt kommt.“ Auch hier also: Spannendes Roadie-Leben, aber eben auch ein harter Beruf. Wie hart es wirklich ist, merke ich, als ich beim Einladen der schweren Kisten mit anpacke. Nur an Wollis Schlagzeug traue ich mich nicht ran.

Ende

Auf der Rückfahrt ziehen die Räuber ein kurzes Fazit. Und dann sind wir wieder am Treffpunkt. Ein Abschied, ein herzliches Dankeschön. 1.30 Uhr: Ich kann jetzt besser einschätzen, was es heißt, Karnevals-„Rockstar“ zu sein. Es ist eben auch ein harter Job. Auf der Rückfahrt nach Neuss pfeife ich noch „Kumm loss jonn“ bevor ich hundemüde ins Bett falle. SL

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