Interview mit Landrat Hans-Jürgen Petrauschke

Wichtig ist ein Wandel mit Augenmaß

Nach seinem Wahlsieg ist Hans-Jürgen Petrauschke längst wieder voll für den Rhein-Kreis Neuss im Einsatz. Wir haben mit unserem alten und neuen Landrat im Neusser Kreishaus über die wichtigsten Themen für die Menschen in unserer Heimatregion gesprochen.

Das Interview führte Dietmar Kramer.

Herr Landrat Petrauschke, was hat Sie seit Ihrer Wiederwahl beschäftigt?

Natürlich die Bekämpfung der Corona-Pandemie. Wenn wir mit den Impfungen vorankommen, und die Anzeichen dafür sind gut, bin ich zuversichtlich, dass wir wieder zu einem alltäglichen Leben zurückkehren, das wieder sehr unserem Leben vor Corona ähnelt. 

Wie sieht der Zeitplan für die Impfungen im Rhein-Kreis Neuss aus?

Wegen der zunächst nicht allzu großen Anzahl der Impfdosen gehen wir davon aus, dass zuerst die besonders gefährdeten Gruppen geimpft werden, danach die Beschäftigen in besonders wichtigen Infrastruktur-Bereichen und dann die Gesamtbevölkerung. Ich hoffe, dass im Verlauf des Jahres 2021 die sogenannte Herden-Immunität erreicht sein kann. Das setzt aber voraus, dass der Großteil der Bevölkerung bereit ist, sich impfen zu lassen, und nicht nur darauf wartet, dass andere sich impfen lassen.

Ein Thema in der bundesweiten Corona-Diskussion ist die Belastung der Gesundheitsbehörden. Wie stellt sich das bei uns dar?

Die Kräfte des Kreisgesundheitsamtes sind seit Anfang März im Dauereinsatz, und zwar an sieben Tage pro Woche. Wir haben auch am Wochenende einen Schicht-dienst von 6.30 bis 21.30 Uhr eingeführt. Personell haben wir durch Beschäftigte aus der eigenen Verwaltung, 40 von der Bundeswehr besetzte Stellen, Scouts des Robert-Koch-Institutes, Landesbedienstete und Mitarbeiter des Technologiezentrums Glehn auf 350 Köpfe aufgestockt, wo wir normalerweise 15 Beschäftigte haben. Aber auch die Bevölkerung hat sehr mitgeholfen, dass das gut klappt.

Was macht die Corona-Pandemie zu einer solchen Herausforderung?

Im Unterschied zu früheren Katastrophen ist dieses Mal die ganze Bevölkerung
betroffen. Das Besondere an diesem Virus ist, dass jeder Einzelne ständig betroffen sein kann und eigentlich das ganze normale Leben eingeschränkt ist – und wenn es um die Gesundheit geht, ist das etwas Anderes als bei Themen, bei denen Geld im Mittelpunkt steht.

Wie unterstützt der Rhein-Kreis Arbeitnehmer und Unternehmen, die von der
Corona-Krise betroffen sind?

Wir unterstützen zunächst bei der Inanspruchnahme von Bundes- und Landesleistungen. Aber es gibt unterschiedliche Formen der Betroffenheit und auch Unterschiede im Umgang mit den Problemen und der Eigeninitiative. Es gibt Unter-nehmen, die leider von den wirklich üppigen Staatshilfen nicht viel haben, aber es gibt auch einen geringen Teil von Unternehmen, die von der Krise profitieren.

Wie schätzen Sie die Auswirkungen der Corona-Krise auf die Wirtschaft im Rhein-Kreis insgesamt ein?

Das werden wir trotz schon erkennbarer Veränderungen erst auf Dauer sehen. Ich bin aber verhalten optimistisch. Ich hoffe sehr, dass das unternehmerische Denken erhalten bleibt. Wir haben aber auch schon positive Entwicklungen, denn wir haben durch Corona einen digitalen Schub bekommen, der sonst vielleicht noch Jahre gebraucht hätte. Und gute Ideen unterstützen wir mit dem Innovationsförderprogramm unserer Wirtschaftsförderung.

Themenwechsel: Herr Petrauschke, Sie kommen sozusagen aus der erweiterten Nachbarschaft im Rhein-Sieg-Kreis. Was macht für Sie die Besonderheit des Rhein-Kreises Neuss aus?

Mich hat immer wieder die Bedeutung der Schützenfeste überrascht. Das zeugt von einem starken Zusammengehörigkeitsgefühl aller Bevölkerungsgruppen.
In jeder Stadt und jedem Stadtteil sind die Menschen stolz auf ihre Region, und das trotz des starken Bevölkerungswandels in den vergangenen zehn Jahren. Schützenfeste wie auch Winterbrauchtum sind gelebte Pflege von Gemeinschaft. 

Der Bevölkerungswandel ist auch Ausdruck eines Strukturwandels. Was steht dabei für Sie im Vordergrund?

Man muss bei Veränderungen immer das Positive sehen. Ich hoffe sehr, dass
uns trotz der vielfältigen Veränderungen in der Stromgewinnung die energieintensiven Unternehmen erhalten bleiben. Wir brauchen auch Industrie und
Gewerbe und die damit verbundenen Arbeits- und Ausbildungsplätze, damit die Menschen ihren Wohlstand behalten können. Es gibt aber viele neue Ideen in unterschiedlichsten Bereichen, die man nutzen kann, um in unserer Region
Arbeitsplätze zu generieren. Wichtig ist ein Wandel mit Augenmaß: Das Alte verändern, wenn das Neue besser ist.

Was kann im Wandel zum Markenkern des Rhein-Kreises werden?

Wir müssen viel tun, dass Industrie in unserer Region bleiben kann, ich denke
da etwa an die Aluminium- und Chemieindustrie. Hier gilt es die Rahmenbedingungen zu schaffen, damit der industrielle Kern erhalten bleibt.

Was sind grundsätzlich die drängendsten Aufgaben der nächsten Jahre?

Im Bereich Verkehr müssen wir einiges tun. Die verschiedenen Verkehrsträger müssen besser genutzt werden. Die Digitalisierung wird vielleicht dazu beitragen, das Angebot mit womöglich kleineren Fahrzeugen als momentan bedarfsgerechter zu gestalten. Dazu werden wir auch die Radwege-Infrastruktur weiter ausbauen. Wir verbrauchen auch zu viel versiegelte Fläche für Autos, die stehen, was ein weiterer Ausbau des Carsharing verbessern könnte. Solche Umstellungen müssen aber zuerst im Kopf stattfinden, benötigen danach aber auch Verlässlichkeit und Einfachheit. Klar ist aber auch: Mehr ÖPNV kann nicht weniger kosten. Die Menschen müssen dabei sicher mitgenommen werden, die Menschen müssen aber auch mitmachen.

Wie kann das Profil des Rhein-Kreises beim Thema Klimaschutz zusätzlich geschärft werden?

Ich plädiere für Photovoltaik und Begrünung auf möglichst vielen Dächern. Grüner Wasserstoff, die Versiegelung von Flächen und bessere Entsorgung sind ebenfalls Themen. Wir versuchen, die Menschen zu animieren. Der Staat kann nicht alles regeln, das müssen die Menschen im Wesentlichen von sich aus mit der Überzeugung machen, dass sie etwas Gutes tun.

Ein anderes Thema ist Tourismus: Sind Maßnahmen geplant, den Rhein-Kreis noch attraktiver für den Fremdenverkehr zu machen?

Mein Wunsch ist, neben den vielen schönen Stellen, die wir bei uns haben, die historischen Stätten noch etwas mehr in den Vordergrund zu rücken.
Als Kreis versuchen wir zum Beispiel durch unser Kulturentwicklungsprogramm verstärkt auf das kulturelle Leben in unserer Region hinzuweisen. Wir wollen die Menschen im Rhein-Kreis begeistern, ihren Kreis noch besser kennenlernen, und wenn das gelingt, ist es auch nicht schwer, mehr Menschen von außerhalb für unsere Heimat zu interessieren. Zumal unser Radwegenetz schon gut ausgebaut ist und wir das auch immer weiterentwickeln.

Ist eine intensivere Vernetzung des Rhein-Kreises mit Nachbarregionen ein Zukunftsmodell?

Wir gehören ja schon zur Metropolregion Rheinland und zur Euregio Rhein-Maas-Nord, arbeiten auch auf der Ebene der Verkehrsverbünde zusammen, liegen im Bereich der Industrie- und Handelskammer Mittlerer Niederrhein. Die
Wirtschaft ist schon oft so miteinander verflochten, ohne dass Gemeinde- oder Kreisgrenzen eine Rolle spielen.

Wie zufrieden sind Sie mit dem Stand der Digitalisierung in unserer Region?

Die Prozesse laufen überwiegend im Hintergrund, in Teilen auch durch die
Corona-Krise beschleunigt. Wir müssen aber darüber nachdenken, ob der Datenschutz nicht zu oft als Totschlagargument gegen die Einführung von Neuerungen benutzt wird, auch wenn natürlich niemand einen Überwachungsstaat möchte. Ohne Fortschritte bei der Digitalisierung verliert unsere Wirtschaft den Anschluss auch in anderen Bereichen. Mit dem Ausbau des Glasfasernetzes haben wir ein wichtiges Fundament geschaffen.

Ein großes Thema im Rhein-Kreis vor Corona war die Fusion mehrerer Kliniken zum Rheinland Klinikum. Wie beurteilen Sie die bisherige Entwicklung?

Die Entscheidung zur Fusion war eindeutig richtig. Durch Corona waren die Vorteile auch zu erkennen, wenn drei Krankenhäuser sich austauschen.
Wir müssen aber durch die Bildung von Schwerpunkten die angestrebte Verbesserung der medizinischen Versorgung weiter voranbringen. Die Bündelung ist nicht nur eine Frage der Wirtschaftlichkeit, sondern vor allem auch der Qualität.

Zum Abschluss, Herr Petrauschke, einige Fragen zu Ihrer Person: Alt oder Kölsch?

Beides schmeckt gut, Pils auch. Es kommt darauf an, wo man es trinkt. In Köln käme ich nicht auf die Idee, Alt zu trinken.

Borussia Mönchengladbach oder 1. FC Köln?

Beide Vereine haben ihre Vorzüge. Als Teil der Region halte ich zu Borussia
Mönchengladbach, aber eigentlich bin ich Anhänger von Bayern München.

Spaziergang am Rhein oder an der Erft?

Da ich in Grevenbroich wohne, bin ich häufiger an der Erft unterwegs.

Urlaub in den Bergen oder am Meer?

Berge.

Schützenfest oder Karneval?

Es kommt auf die Jahreszeit an.

Rockmusik oder Klassik?

Was gut ist, ist gut.

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