130 Jahre Neusser Bauverein

Auch im 130. Jahr seines Bestehens ist das größte Wohnungsunternehmen im Rhein-Kreis jung geblieben. Denn es hat sich immer wieder neu erfunden und den jeweiligen Wohnbedürfnissen in den Jahrzehnten angepasst. Immer fehlte aus unterschiedlichen Gründen bezahlbarer Wohnraum. 

Als 1891 der Bauverein gegründet wurde, waren das spannende Zeiten: Der deutsche Luftfahrtpionier Otto Lilienthal machte seinen ersten Flug, das Automobil feierte gerade seinen fünften Geburtstag und die Unternehmen wurden technisch immer innovativer, sodass die Industrialisierung richtig Fahrt aufnahm. Auch in Neuss: Neue Fabriken entstanden und es gab viel Arbeit in der Hafenstadt am Rhein. Die benötigten Arbeitskräfte, die vom Land in die Stadt strömten, suchten bezahlbare Wohnungen. Da regt der damalige Landrat des Landkreises Neuss-Grevenbroich, Clemens Freiherr von Schorlemer, die Gründung des Bauvereins an. Die ältesten Bauverein-Immobilien sind heute noch am Berghäuschensweg mit den Hausnummern 39 bis 43 erhalten.

Der Ausbruch des Ersten Weltkriegs (1914–1918) hinterlässt dann tiefe Spuren in der Stadt: Armut und Wohnungsnot bestimmten die Lebensverhältnisse. Trotz der Geldentwertung in den 1920er-Jahren errichtete der Bauverein zwischen 1928 und 1930 Wohnungen in den nördlichen Stadtgebieten. Diese waren erstmals mit einem eigenen Bad ausgestattet – ein Luxus zur damaligen Zeit. 1933, nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten, musste der Bauverein eigene Projekte erst einmal zurückstellen und an der „Gartenvorstadt Reuschenberg“ mitwirken. 

1945, nach dem Zweiten Weltkrieg, waren weite Teile der Stadt zerstört – jede dritte Wohnung war beschädigt. Von den mehr als 1000 Wohnungen, die der Neusser Bauverein vor dem Kriegsausbruch errichtet hatte, waren nur noch 430 bewohnbar. Gleichzeitig stieg die Einwohnerzahl der Stadt rapide, viele Vertriebene und Flüchtlinge kamen nach Neuss: 55.000 Menschen wollten 1945 in der Quirinus-Stadt leben, 20 Jahre später schon doppelt so viele. Neuss war eine Zeit lang die am schnellsten wachsende Großstadt Deutschlands – und somit wurde auch Wohnraum immer dringend benötigt.

In den 1960er-Jahren errichtete der Bauverein rund 4000 neue Wohnungen, zunächst überwiegend in der Innenstadt, später entstanden im Zuge der Stadtentwicklung Wohnblöcke in Gnadental und Weckhoven, Vogelsang und Weissenberg.

Aber nicht nur die Menge, auch die Architektur der Wohnungen des Neusser Bauvereins haben das Stadtbild von Neuss geprägt. Während in den 1950er- und den frühen 1960er-Jahren vor allem die drei- bis viergeschossige Bauweise in aufgelockerten und durchgrünten Wohnsiedlungen vorherrschte, orientierte sich die Bauweise ab Mitte der 1960er-Jahre an amerikanischen Vorbildern: Große Wirtschaftseinheiten und hochgeschossige Wohngebäude ersetzten die überschaubare Nachbarschaft – schufen dabei aber gleichzeitig auch viele Wohnungen auf wenig Raum. In dieser Zeit entstanden auch die Wohnsiedlungen in Erfttal, Gnadental und Weckhoven.

Anstatt neue Wohngebiete am Stadtrand hochzuziehen, konzentrierte sich die Stadtplanung in der folgenden Zeit darauf, bestehende Baulücken in der Innenstadt zu schließen. Der Neusser Bauverein setzte als enger Partner der Stadt Projekte um, die vor allem auch der Stadtbild- und Denkmalpflege dienten. Damit setzte er Maßstäbe: Mit der Umwandlung des historischen Wasserwerks an der Weingartstraße in hochwertige Wohnarchitektur schuf er einen Glanzpunkt in der Neusser Innenstadt. 

Auch um die Jahrtausendwende setzte er städtebauliche Akzente: Nachdem das Horten-Kaufhaus 1999 geschlossen wurde, vollzog der Neusser Bauverein die Umwandlung des riesigen Warenhauses in ein Kultur- und Dienstleistungszentrum. Neben der Hauptverwaltung des Rhein-Kreises Neuss sind dort heute das Rheinische Landestheater, ein Programmkino und Einzelhandelsunternehmen untergebracht.

Einige Jahre später realisierte der Neusser Bauverein den spektakulären Umbau des ehemaligen Speichergebäudes am „Haus am Pegel“. Heute ist dort der Verwaltungssitz des Neusser Bauvereins, der seither mit seiner prägnanten Silhouette und der roten Farbgebung der Fassade nicht nur das Tor zur Innenstadt aufwertet, sondern auch die städtebauliche Entwicklung der „Waterfront“ entlang der Hafenmole I einleitet.

Gleichzeitig sorgte der Neusser Bauverein in den Stadtteilen selbst für Fortschritt und trieb auch dort die Stadtentwicklung voran – zum Beispiel bei den erfolgreichen Stadtteilerneuerungsprozessen in Erfttal und Weckhoven. Der hochverdichtete Geschosswohnungsbau der 1970er-Jahre wurde durch attraktive Mehrfamilienhäuser in aufgelockerter Bauweise mit begrünten Innenhöfen, Einfamilienhäusern und Wohngemeinschaften für ältere Bewohner ersetzt. Auch das mehrfach ausgezeichnete Wohnquartier Südliche Furth an der Wingenderstraße und die Weiterentwicklung des Marienkirchplatzviertels stehen beispielhaft für das 130-jährige städtebauliche Engagement des Neusser Bauvereins.   |.     UKH

Bild:

  • Marienkirchplatzviertel: NBV
  • huelchrather-strasse-DJI_0161-12: NBV