In einem kontinuierlich anwachsenden, schließlich unüberschaubaren Strom verbreitete sich vom 19. bis ins frühe 20. Jahrhundert hinein eine Bilderflut über Europa, die man als die Mutter der sozialen Netzwerke bezeichnen kann: Die Kommunikation erfolgte visuell, Worte waren allenfalls erläuternde Beigabe, die Objekte überwanden Zeiten und Räume, waren ein
gesellschaftliches Phänomen und wurden bis in die letzten Landeswinkel getragen.
Die Rede ist von den populären Druckgrafiken und Bilderbögen, die unseren Vorfahren die Welt ins Heim brachten, ihnen eine Idee von den Facetten der Kunst vermittelten, sie über die aktuellen Geschehnisse auf dem Laufenden hielten und ihnen Stoff zu geistlicher Erbauung lieferten.
Einen besonderen Aspekt dieser unglaublich vielfältigen Industrie beleuchtet das Feld-Haus, Museum für Populäre Druckgrafik in seiner aktuellen Ausstellung „Raffael & Co. – Populäre Druckgrafik nach alten Meistern aus der Sammlung Feld-Haus“, in der bis zum 13. März 2022 rund 40 Exponate die staunenden Augen des Publikums mit den wundersamen Wegen von der hohen Kunst zur reproduzierten Druckgrafik vertraut machen werden.
Es begann eine Massenproduktion von Wandbildern für den Hausgebrauch. Größter Beliebtheit erfreuten sich die „Gemälde alter Meister“. Neben den klassischen Einzeldarstellungen von Maria und Jesus griffen die Kunstdruckverlage dabei besonders auf Motivvorlagen italienischer Meister der Renaissance und des Barocks zurück. In der Publikumsgunst ganz oben lagen Guido Reni mit seinem „Ecce Homo“, die „Mater Dolorosa“ von Carlo Dolci, die „Madonna della Sedia“ und die Engel der „Sixtinischen Madonna“ von Raffael da Urbino sowie das „Letzte Abendmahl“ von Leonardo da Vinci.
Da dieser Wandschmuck vor allem für weniger gebildete Bevölkerungsschichten hergestellt wurde, mussten die Bildmotive bestimmte Kriterien erfüllen: Ein Mensch, mit dem man sich identifizieren konnte; einfache nachvollziehbare Geschehnisse und Aktionen, Kräftige, kontrastreiche Farben, klare Kompositionen und eindeutige, emotionale Aussagen und der Appell an christliche Tugenden.
Formate und Farbgebung der „Nachdrucke“ unterschieden sich erheblich von den Originalen, Metallapplikationen (sogenannte »Tinsel«) und Prägungen schufen einen „Mehrwert“, und auch die dargestellten Personen waren oft dem neuen Schönheitsideal angepasst.
Zu einer Zeit, wo Reisen noch ein Privileg und Lesen eine oft nicht beherrschte Kunst war, beschränkte sich die Funktion der bunten Blätter keineswegs auf die preiswerte Dekoration. Andacht und Kontemplation, prunkvoller Vorzeigegegenstand für den staunenden Besuch, vielleicht sogar ein kleiner Beitrag zur Bildung – es sind kleine Kostbarkeiten, wenn man sie recht betrachtet.
FELD-HAUS – MUSEUM FÜR POPULÄRE DRUCKGRAFIK
Berger Weg 5 | 41472 Neuss
Öffnungszeiten: Sa. – So.: 11–17 Uhr (Eintritt frei) | www.clemens-sels-museum-neuss.de
Bild:
- Feld-Haus_Das heilige Abendmahl_LD: privat
- Feld-Haus_RaffaelC0_FotoAngelavandenHoogen (11): A. van den Hoogen